G. Thiemeyer: Internationalismus und Diplomatie

Cover
Title
Internationalismus und Diplomatie. Währungspolitische Kooperation im europäischen Staatensystem 1865-1900


Author(s)
Thiemeyer, Guido
Series
Studien zur Internationalen Geschichte 19
Published
München 2008: Oldenbourg Verlag
Extent
255 S.
Price
€ 34,80
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Harald Wixforth, Universität Bremen

Die Stabilität von Währungen und ein reibungsloses Funktionieren internationaler Währungssysteme ist keineswegs selbstverständlich, sondern in historischer Perspektive eher eine Konstellation, die als Ausnahme von der Regel zu betrachten ist. Aber auch die aktuelle Finanzkrise mit ihren Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt macht nur allzu deutlich, dass Währungsstabilität ein hohes Gut ist, das es mit Geschick und Einfühlungsvermögen seitens der Verantwortlichen zu verteidigen und zu bewahren gilt. Wie schwierig es ist, stabile Währungen aufrecht zu erhalten, bzw. ein System stabiler Wechselkurse als Basis für eine prospierende Wirtschaft und einen sich ausdehnenden Handel zwischen einzelnen Staaten zu schaffen, zeigt Guido Thiemeyer in seiner Studie. Er untersucht einzelne Pläne und Maßnahmen, sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten von Amerika zwischen 1865 und 1900 eine neue Währungsordnung und ein langfristig valides System fester Wechselkurse zu errichten.

Am Beispiel von vier europäischen Staaten (Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien) sowie den USA macht Thiemeyer deutlich, in welchen Schritten und auf welcher Basis sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so etwas wie ein internationales Währungssystem herausschälte. In seinem ersten großen Kapital widmet er sich der Gründung der Lateinischen Münzunion im Dezember 1865 als ein loser Währungsverband zwischen Frankreich, Italien, Belgien und der Schweiz. Nach Einschätzung Thiemeyers kann diese Münzunion gerade zu als paradigmatisch und als Präzedenzfall für eine beginnende neue Beziehung zwischen einem komplexer werdenden "System der Wirtschaft und jenem der Politik" (S. 225), angesehen werden. Thiemeyer weist anhand zahlreicher neuer Quellen darauf hin, dass die Lateinische Münzunion ihrem Wesen nach eine Erleichterung im Währungsverkehr und im Handel der beteiligten Staaten bringen sollte, dass sie aber in gleicher Weise von Napoleon III. als Instrument für den Erhalt einer wirtschafts- und geopolitischen Vormachtsstellung in West- und Südeuropa gedacht war. Zudem sollte der Zusammenschluss als eine Art von Schutzschild gegenüber wirtschaftlich konkurrierenden Staaten wie Großbritannien und dem Deutschen Kaiserreich dienen. Angesichts dieser interessenpolitischen Gemengelage überrascht Thiemeyers Befund keineswegs, dass Frankreich die Münzunion für machtpolitische Zwecke missbrauchen wollte, so dass sie ihre eigentliche währungspolitische Zielsetzung nicht erfüllen konnte. Währungspolitische und Handelskrisen unter den beteiligten Staaten waren daher auch in den 1880er- und 1890er-Jahren an der Tagesordnung. Gleichwohl gab die Lateinische Münzunion das Signal für andere europäische Staaten, Währungskooperationen herzustellen.

Dieses Signal wurde auch in Berlin als der Metropole des 1871 errichteten Deutschen Kaiserreiches verstanden. Thiemeyer macht deutlich, dass sowohl bei der Vereinheitlichung der Währungen im neuen Reichsgebiet und den dazu eingeleiteten Währungsreformen, als auch bei den angestrebten Währungskooperationen mit anderen Staaten ebenfalls in Berlin die Idee eines möglichst störungsfreien und stabilen Währungsverkehrs Pate stand. Aber auch Bismarck verfolgte mit der Währungspolitik keinesfalls nur wirtschaftspolitische, sondern auch machtpolitische Intentionen, die auf eine geopolitische Hegemonie Deutschlands in Mitteleuropa zielten. Interessant ist zudem, dass Thiemeyer zahlreiche Beweise für seine neuen Thesen zur Funktionsweise des Goldstandards vorlegen kann. Seiner Einschätzung nach bedeutete die Tatsache, dass sich das Deutsche Kaiserreich als wirtschaftlich aufstrebende Macht in Europa für den Goldstandard als Währungssystem entschied, den entscheidenden Schritt für die Durchsetzung dieses Systems gegenüber dem Bimetallismus als Währungsbasis. Da sich Großbritannien als dominierende Wirtschaftsmacht auf dem Globus bereits früher für eine durch Gold gedeckte Währung entschieden hatte, war hier eine währungspolitische Allianz zwischen London und Berlin entstanden, die ein immenses Schwergewicht im europäischen Währungsverkehr und Handel erreichte. Andere Länder in Europa, wie etwa die Niederlande, die skandinavischen Staaten, aber selbst die USA mussten sich mit dieser Allianz arrangieren und daher ebenfalls zum Goldstandard übergehen, wollten sie sich nicht vom Zentrum des Welthandels verabschieden.

Den dritten Schwerpunkt seiner Analyse bilden in Thiemeyers Studie die Währungsverhältnisse in den Vereinigten Staaten, was auf den ersten Blick etwas konträr zu dem Titel der Arbeit läuft. Thiemeyer konstatiert hier jedoch einen interessanten Gegensatz zu Europa: Die währungspolitische Diskussion in den USA und die Präferenz für den Bimetallismus wurde hier in erster Linie durch innenpolitische, und nicht durch außenpolitische und geopolitische Erwägungen bestimmt. Durch die dabei getroffenen Entscheidungen nahmen die USA in Kauf, vorerst nicht in das Zentrum der globalen Währungs- und Wirtschaftspolitik zu rücken, die zunehmend von den Ländern des Goldstandards bestimmt wurde. Diese Form des Isolationismus erwies sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als Vorteil: Als die alte Währungsordnung zerrüttet und die Pax Britannica zerstört war, konnten die USA als neue Welthandelsmacht die Spitzenposition unter den prosperierenden Wirtschaftsnationen einnehmen.

Thiemeyer legt mit seiner Arbeit eine interessante Studie zur Währungs- und Wirtschaftspolitik in Europa und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Es gelingt ihm dabei, plausibel die Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Politik, zwischen währungspolitischen Debatten und Diplomatie aufzuzeigen. Seine Einschätzung, dass Währungspolitik in dieser Zeit immer auch Außen- und Geopolitik war, kann er gut begründen. Ebenso anschaulich legt er die Probleme und die Hemmnisse für neue währungspolitische Maßnahmen sowie für deren Scheitern dar. Alles in allem ist seine Arbeit eine wertvolle Ergänzung bereits existierender Studien über die Wirkungsweise des Goldstandards und das Weltwährungssystem, wie etwa die von Barry Eichengreen1, zumal hier auch die Vorstufen für diese Währungsvereinbarung angesprochen wird. Die eine oder andere stilistische Schwäche und redaktionelle Ungenauigkeit kann den positiven Gesamteindruck nicht beeinträchtigen.

Anmerkung:
1 Barry Eichengreen, Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems, Berlin 2000.

Editors Information
Published on
30.01.2009
Contributor
Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review